An Büchern scheiden sich die Geister – Bücherordnung aber ist ein Krisengebiet!
Aktualisiert: 2. Dez. 2022
Wer mit seiner privaten Bibliothek hadert – bezüglich Raum, Auswahl oder Ordnung –, mache es wie Nemo. So gesehen birgt die Nautilus die perfekte private Bibliothek.

Foto: Franziska Hirschelmann; Illustration der französischen Originalausgabe; entnommen dtv, 2009
„There’s a secret war raging on the internet. The stakes are high. The warriors are fierce. The battleground is your bookshelf. Do you alphabetize? Do you color-code? Do you have no system at all? You’ll have to pick a side.“[i]
Was Emily Temple hier humorvoll wie treffend formuliert, war, ist und bleibt Thema: das Sammeln und Ordnen von Wissen. Insbesondere das Wissen in Form von Büchern. Auch wenn Büchermenschen, wenn man sie so nennen möchte, wie Carolin Emcke es hübsch formuliert, „jene alte oder wenigstens altmodische Spezies [ist], die noch reale Dinge besitzt, also materielle Objekte, die sich berühren (oder beschnuppern) lassen, die Schallplatten aus Vinyl oder eben papierene Bücher sammeln“[ii], stirbt diese Spezies keineswegs aus, nein. Sie lebt, recht aktiv sogar, und ist, seit denkbaren Zeiten, konfrontiert mit den Leiden jener Leidenschaft: dem zunehmenden Verlust des Raumes für die geliebten Objekte und der sich aufdrängenden Frage der Ordnung.
Nicht jeder hat das Glück, sich der Welt ein für alle Mal entziehen zu können, wie zum Beispiel Kapitän Nemo, dessen Nautilus eine exakt 12.000 Bände umfassende Bibliothek beherbergte, die, nach dem Abtauchen selbigen Bootes, keine Erweiterung mehr fand und somit in Platzfragen fortan unproblematisch war. Zu Fragen der sich stellenden Ordnung schweigt sich Jule Verne aus, fast zumindest – „Alle diese Bücher waren unabhängig von Sprache eingeordnet, und diese Zusammenstellung bewies, dass der Kapitän der Nautilus, so wie der zufällig danach griff, jedes von ihnen problemlos lesen konnte.“[iii] So weit, so gut. Eine Ordnung nach Farbe war ausgeschlossen, alle Bände seien „einheitlich gebunden“.
„‚Zwölftausend, Monsieur Aronnax. Sie stellen meine einzige Verbindung zur Erde dar. Aber die Welt hat für mich in dem Moment aufgehört zu existieren, als meine Nautilus zum erstenmal unter Wasser tauchte. An diesem Tag habe ich meine letzten Bände, meine letzten Broschüren und meine letzten Zeitungen gekauft und seitdem lebe ich so, als hätte die Menschheit nichts weiter erdacht und geschrieben.“[iv]
Problem gelöst also. Zumindest für Nemo.
Für alle anderen „Büchermenschen“ nehmen die genannten Leiden grundsätzlich immer und kontinuierlich zu. Wohnungen schrumpfen, Häuser ebenso. Regalmeter sind rar, egal wie viele im Laufe eines Lebens angeschafft werden. Der jeweils gewährte Aufschub ist nie von Dauer. Und dann beginnen wieder Bücherdünen durch den vorhandenen knappen Raum zu mäandern. Oder wie es Carolin Emcke fast schon poetisch beschreibt:
„… dynamische Biotope aus Büchern, sie bilden niedrige oder hohe Hügel, lang gestreckte Bergketten, mit tiefer liegenden Tälern, die eine thematische Unterbrechung markieren sollten, sie überziehen ganze Flächen wie Seenlandschaften oder bilden Inseln.“[v]
Genau. Man kennt das.
Georges Perec hat sich den drängenden Fragen von Anzahl und Ordnung einer Buchsammlung wunderbar in seiner kleinen Schrift Brief Notes on the Art and Manner of Arraging One’s Books[vi] gewidmet.

Georges Perec[vii]
Und wenn es um Raum und damit Anzahl von Büchern geht, ist die von einem seiner Freunde versuchte Strategie durchaus faszinierend: die Anzahl der Bücher der privaten Bibliothek bei genau 361 zu halten.
„The plan was as follows: having attained, by addition or subtraction, and starting from a given number n of books, the number K = 361, deemed as corresponding to a library – if not an ideal then at least a sufficient library – he would undertake to acquire on a permanent basis a new book X only after having eliminated (by giving away, throwing out, selling, or any other appropriate means) an old book Z, so that the total number K of words should remain constant and equal to 361: K + X > 361 > K – Z.“[viii]
Das Problem allerdings scheint mitnichten gelöst, wenn man den sich anschließenden Ausführungen Perecs folgt. Wer möchte, möge die Details dort selbst nachlesen. Fakt ist, das Problemfeld bleibt – übrigens auch gänzlich unabhängig von der zu Beginn gesetzten Zahl 361.
Ganz allgemein lieben wir es, so Perec, Bücher sichtbar aufzustellen. Und, um dessen Ausführungen erneut abzukürzen: Wir neigen dazu, sie einfach überall abzulegen. Lediglich Kochbücher haben eine Tendenz zu – Überraschung – Küchen. Und selten sind Bücher in Badezimmern zu finden. Meiner Erfahrung nach sind diese dann mindestens fragwürdig – oder etwas schräg.
Das Hauptproblem ist und bleibt die Ordnung derselben. In Bezug auf den kontinuierlich raren Raum, entscheiden sich einige Sammler für das doppelt beziehungsweise in zwei Reihen Stellen der Bücher. Der Mangel ist offensichtlich: Sichtbarkeit.
Disorder oder auch Chaos, das gänzliche Fehlen also einer Ordnung (als chaotische Lagerhaltung von Versand-Riesen wie Amazon strategisch genutzt und perfektioniert), findet sich in privaten Bibliotheken quasi nicht, es scheint absurd, und wir alle haben, so Perec, einen Instinkt dafür, wohin ein bestimmtes Buch zu legen beziehungsweise wo zuzuordnen ist. Doch dieser „Instinkt“ ist es, der das Schlachtfeld Bibliotheksordnung eröffnet und sich zwischen den Polen Chaos und perfekte Ordnung (jedes Ding hat seinen eineindeutigen Platz) bewegt.

Foto: Franziska Hirschelmann
Ein kurzer Exkurs: Seit einiger Zeit der Pein schrumpfenden Wohnraums und mäandernder Bücherdünen entkommen, habe ich nun – zumindest für absehbare Zeit – den Luxus schier endlos scheinender Regalmeter. Kein fragiler Bücherturm dient mehr als Kaffeetisch oder stützt einen noch fragileren vor dem Einsturz. Kein risikoreiches Balancieren schwankender Stapel, um genau jetzt, genau das Buch zu nutzen, das dem Turmgebilde als Basis dient und das, bei misslingendem Entnehmen, das Gefüge des gesamten Raumes in Frage stellt.
Welch herrlich Ding – nun ist Ordnung möglich! Doch welche?
Ich trenne, ob des Glücks der Möglichkeit, nun grundsätzlich Bücher, die die Arbeit betreffen, von belletristischer Literatur. Wobei sich hier bereits erste Schnittmengen ergeben oder, um den Ausdruck zu verwenden, der die Problematiken deutlicher macht, inhaltliche Überschneidungen. Und diese bedürfen einer Entscheidung. Und genau hier geht der Ärger los. Wissenschaftliche Arbeit ist ebenso Arbeit wie Arbeit an Texten – in meinem Fall mitunter gar identisch. Und es wäre fatal, behaupten zu wollen, nie belletristische Literatur für die Arbeit an wissenschaftlichen oder fachlichen Texten (jenseits der Belletristik versteht sich) zu benötigen et cetera. Aber gut. Innerhalb der Arbeitsliteratur habe ich Sektionen – Primär- / Sekundärliteratur zum Beispiel, wobei die Primärliteratur nach Zeit und innerhalb der Zeit alphabetisch nach Autor geordnet ist (Merken Sie es? Wo endet eine Zeit, wo beginnt die nächste – bei A bis Z?), aber es gibt auch Sektionen wie Biografie, 2. Weltkrieg, Kinder- und Jugendliteratur. Und da wäre noch die Sektion Kunst, und die komplette Lyrik. Ich fürchte, ich schweife aus.
In der Belletristik ordne ich grundsätzlich nach Herkunft der Autoren – also dem Land, wobei Länder, die unterrepräsentiert sind, in die Kategorie „international“ fallen. (Ich schätze, nur ich weiß, wo manches Buch letztlich zu finden ist. Und manchmal nicht mal ich – was zu Doppelanschaffungen führen kann. Nur hin und wieder allerdings. Und nicht zu vergessen: Herkunftsland ist nicht gleich Aufenthaltsland.
Wird das Problemfeld klar?
Perec hat die Möglichkeiten, seine private Bibliothek zu ordnen, zusammengestellt. Man ordnet sie wahlweise:
- alphabetisch
- nach Kontinent oder Land
- nach Farbe
- nach Datum des Erwerbs
- nach Datum der Publikation
- nach Format
- nach Genre
- nach literaturhistorischen Perioden
- nach Sprache
- nach Aussicht auf zukünftiges Lesen
- nach Einband
- nach Reihe
Zumeist jedoch kombiniert man verschiedene Weisen.
Jede dieser Ordnungen birgt Probleme, keine ist wirklich befriedigend. Und wer sich, auch nur ein einziges Mal, (und zunächst) voller Enthusiasmus dem Ordnen seiner Bibliothek – und sei diese nur ein mittleres Bücherregal – gewidmet hat, weiß von der Verzweiflung, die sich unweigerlich einstellt, und die diese (falls erneut) nötige Aufgabe möglichst auf ewig in die Zukunft wünscht.
Wer Inspirationen sucht, widme sich dem Text von Emily Temple How 11 Writers Organize Their Personal Libraries – You can’t put Pynchon next to Plato (Unless there are both pink)[ix] – und schreie hin und wieder schmerzvoll auf oder nicke voller Verständnis ob der gewählten Ordnung.
Inspiration ist es allemal! Und irgendwann kommt der Tag …
________________________________________________________________________________ [i] https://lithub.com/how-11-writers-organize-their-personal-libraries/ - Autorin: Emily Temple
[ii] https://www.sueddeutsche.de/kultur/buecher-ordnung-kolumne-1.4730388 - Autorin: Carolin Emcke
[iii] Jules Verne, 20 000 Meilen unter den Meeren. dtv, München, 2009, S. 112.
[iv] Jules Verne, 20 000 Meilen unter den Meeren. dtv, München, 2009, S. 112.
[v] https://www.sueddeutsche.de/kultur/buecher-ordnung-kolumne-1.4730388 - Autorin: Carolin Emcke
[vi] Georges Perec, Brief Notes on the Art and Manner of Arranging One’s Books: http://monumenttotransformation.org/atlas-of-transformation/html/c/classification/brief-notes-on-the-art-and-manner-of-arranging-ones-books-georges-perec.html (erstmals publiziert 1978 in L’Humidité)
[vii] https://lithub.com/how-11-writers-organize-their-personal-libraries/
[viii] Georges Perec, Brief Notes on the Art and Manner of Arranging One’s Books: http://monumenttotransformation.org/atlas-of-transformation/html/c/classification/brief-notes-on-the-art-and-manner-of-arranging-ones-books-georges-perec.html (erstmals publiziert 1978 in L’Humidité)
[ix]https://lithub.com/how-11-writers-organize-their-personal-libraries/ - Autorin: Emily Temple